EURoPa

Vom Greifensee ans Schwarze Meer

 

Unser grober Plan für Europa sieht etwa so aus: Vom Greifensee radeln wir an den Walensee, gehen weiter nach Chur und nehmen von dort aus die Alpenüberquerung via Albula-Pass in Angriff. Auf der anderen Seite liegt dann das Engadin, und von da an wirds richtig einfach: Folge dem Inn, folge der Donau, und paff, -da kommt auch schon das Schwarze Meer. Kurz mit der Fähre übergesetzt und schon sind wir im Kaukasus, wo wir mit Georgien und Asarbeidschan die Ränder des Okzidents erreichen. Simpel, oder?

Unser Weg zum Schwarzen Meer. Die grüne Linie sind wir geradelt, die gelbe Linie zeigt unsere Abenteuer mit dem ÖV.


SCHWEIZ

 

So, aktuell sind wir in Innsbruck, was soviel bedeutet wie: 3 von 175 Längengraden gen Osten sind geschafft, es bleiben also noch deren 172. Aber von Anfang an…

 

Trotz akribischen Vorbereitungen war das Packen am Morgen des Abfahrtstages ziemlich hektisch. So kam es dann auch, dass wir viel zu viele Dinge mitgenommen hatten und so bereits zweimal ausmisten durften. Wer braucht schon 6 T-Shirts, 7 Unterhosen, 5 Socken? 3-3-3 ist die magische Zahl, und damit kommen wir zurzeit gut zurecht. Und auch die Lebensmittel (stop foodwaste!), die wir aus unserem alten Leben noch mitgetragen haben, sind inzwischen verputzt oder verschenkt. Das halbe Kilo Dosenbohnen, dass wir bis zum bisher höchsten Punkt unserer Reise mitgetragen haben, hat dort herrlich geschmeckt. Im Schweisse meines Angesichts, drei Bohnen für ein Halleluja!

 

Nach einem wunderschönen ersten Abend am Greifensee, an dem wir uns von ganz vielen lieben Menschen verabschieden durften, ging es am ersten richtigen Reisetag über viele Hügel Richtung Walensee. Kurz vor dem See mache sich eine erste Müdigkeit bemerkbar und dunkle Wolken zogen auf. Und genau da zeigte sich auch zum ersten Mal, dass unsere Reise unter einem guten Stern steht: In Weesen erwischten wir grade so auf die Abfahrt ein Schiff nach Walenstadt, und so konnten wir die ersten Schauer trocken an Bord bei Kaffee und Kuchen geniessen. Top!

 

Am nächsten Tag war Chur unser nächstes Ziel. Hier bekamen wir Besuch von unserem Freund Volker. Dazu muss man vielleicht wissen, dass Volker zu den Menschen gehört, die einen immer mal wieder unangekündigt «heimsuchen», -was wir sehr schätzen. Dass er uns aber sogar in Chur besucht, war eine schöne Überraschung. Bei einem Fondue (wohl das letzte für eine lange, lange Zeit) stärkten wir uns für den ersten Anstieg Richtung Alpen.

 

Ganz ehrlich, wir haben gelitten, aber wir haben das kommen sehen. Und der flauschige Zeltplatz in Tiefencastel entlohnte uns für die Strapazen. Am nächsten Tag wurde es nach einem sanften Start Richtung Filisur, vorbei an lebendigen Pfadilagern und verglühten Goa-Festivals, richtig zäh: Der Aufstieg nach Bergün zeigte uns, dass wir den Albula-Pass (noch weitere 900 Höhenmeter) wohl kaum mit vertretbarem Aufwand schaffen können. Doch statt zu zaudern haben wir eine Münze geworfen, das nächste Postauto geschnappt und uns auf die Passhöhe chauffieren lassen. Als Krönung (oder als Trost?) konnten wir auf 2315 m ü.M. unsere erste Bartgeier-Sichtung verzeichnen. Timing ist alles.

 

Nach einer rasanten Abfahrt (Roli stellte mit 80.3 Km/h eine wohl kaum mehr zu überbietenden persönlichen Bestmarke für eine Fahrt auf dem vollbeladenen Velo auf), erfreuten wir uns an den tollen Velowegen des Engadins und zogen die Tagesetappe nach Zernez weiter. Dort, am Eingang zum Nationalpark, machten wir für 3 Nächte Rast, misteten unser Gepäck durch, regelten ein paar Visa-Angelegenheiten (Iran und Kasachstan: Check!) und machten eine ausführliche Wanderung in die Bergwälder, wo wir unzählige Fichtenkreuzschnäbel sichten konnten und unserer Birding-Liste den Steinadler und den Zitronengirlitz hinzufügen konnten.

 

Exakt eine Woche nach dem Start führte unser Weg am 20. Juli nach Strada, einer winzigen Ortschaft kurz vor der Grenze zu Österreich. Nach einem Abendspaziergang durch eine Schwemmlandschaft (Flussuferläufer, Flussregenpfeifer), je zwei Flaschen Bier und einem Topf Spaghetti verbrachten wir eine ruhige und erholsame letzte Nacht in der Heimat. Zwischen 9 Uhr abends und 8 Uhr morgens fuhr wohl kein einziger Wagen durch Strada, nur das Rauschen des Inns war in der Ferne zu hören und mit der Dämmerung erwachten die Vögel und zwitscherten leise ihre Lieder.

 

Und dann, am Morgen des 21. Juli, 50 Jahre nach der Mondlandung: Eine kleine Pedalbewegung für die Menschheit, aber eine grosse Pedalbewegung für uns, überqueren wir kurz nach Martina die Grenze zu Österreich. Servus!

 

Fazit: Die Schweizer legen die Radwege gerne abseits und an Hügeln an, eher nicht im Dorf. Das ist schön, aber halt manchmal auch anstrengend, wenn man mit voll beladenen Velos unterwegs ist. Wir haben jede Menge nette Menschen kennengelernt; Rene vom Kaffi 2 in Baden, der ins Engadin wandert. Kathrin und Sven aus Oberschlatt, die an einem einzigen Tag 160 Kilometer weit radeln, um ihre Rinder auf der Alp zu besuchen (ja, Rinder, nicht Kinder). Jede Menge netter Zeltplatzwarte und Passanten, die uns den rechten Weg zeigten…

 

Wir haben gelernt, dass wir, nach unserem Ziel gefragt, das Schwarze Meer angeben und nicht Neuseeland. Ersteres ist greifbar, bei zweiterem ist uns die bis dahin nette Dame auf dem Walensee-Schiff kopfschüttelnd-abwinkend davongelaufen, im Glauben, wir wollten sie veräppeln.

 

 

 

Nun in Innsbruck gönnen wir uns nochmals eine Rast. Unser nächstes Ziel: Am 1. August in Wien was Feines schnitzeln gehen und am 2. August bei der Zicklake die Zieserl besuchen. Mehr dazu dann ein andermal…

 


 

 

 

ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH, UNGARN UND SERBIEN

 

15. August 2019. Nach dem ersten Monat auf grosser Fahrt haben wir uns im neuen Rhythmus gut eingelebt. Die Schweiz liegt schon weit hinter uns, der Inn ist zu Ende und die Donau begleitet uns (oder eben besser: wir sie) schon durch Deutschland, Österreich, Ungarn und nun Serbien. Unsere Tachos zeigen 1900 gefahrene Kilometer an, wir gönnen uns ein kleines Hotelzimmer in Novi Sad, geniessen nach Tagen in der wunderschönen Auenlandschaft am Donauufer den City-Groove und werden morgen den Bus nach Belgrad nehmen; Ein Termin auf dem Schweizer Konsulat liefert uns einen grossartigen Vorwand, den dichten Verkehr zwischen den beiden serbischen Grossstädten links liegen zu lassen und unseren Beinen und Hinterteilen (oh ja…) mal zwei Tage Erholung zu gönnen.

 

 

 

Nach Innsbruck galt es, dem Inn bis nach Passau zu folgen. Nach gut 2 Tagen Österreich führte unser Weg also nach Norden durch Deutschland, oder besser gesagt durch Bayern. Wir entdeckten unsere Liebe zu Fleischkas-Semmeln mit süssem Senf, Weisswürteln mit Brezn und Bier schon zu Mittag und gewöhnten uns mehr und mehr an die anhaltende Hitze. Passau liessen wir rasch hinter uns, im ersten Moment etwas enttäuscht von der im Vergleich zum Inn eher gemächlich gesitteten Donau. Die erste Nach auf der Wiese eines kleinen Wasserski-Clubs direkt am Donauufer, leise Johann Strauss’ «An der schönen blauen Donau» hörend, liess uns dann aber doch zum ersten Mal die Magie dieses mächtigen Stroms spüren und begleitet uns nun seit mehr als tausend Kilometern…

 

In Linz waren abends alle Bäckereien schon geschlossen, und so gabs statt Linzertorte Mexican Food und das bisher beste Eis unserer Tour. Doch schliesslich gelangten wir an das erste grosse Ziel unserer Reise: Wien. Nach 1130 Kilometern standen wir im Zentrum, freuten uns ab dem freundlichen Chaos auf den Radwegen und dem unsern Weg überspannenden Transparent mit dem Print: cycling climate hero; Yes!, -Bauch rein, Brust raus-, empfing uns die österreichische Metropole mit ihrem unvergleichlichen Schmäh.

 

Nebst der Suche nach Ersatzteilen und einem neuen Bikini für Selena wollten wir uns Schloss Schönbrunn und den Tiergarten nicht entgehen lassen. Mit den Pandas dort kann man sich herrlich auf das Fernziel China einstimmen. Ein abendlicher Bummel über den legendären Prater gehörte natürlich auch zum Pflichtteil, inklusive dem mehr als hundert Meter hohen Kettenkarussell.

 

Bildlegende: In Wien lässt sich's gut schlafen...

Von Wien weg nahmen wir zum ersten Mal die Bahn in Anspruch und liessen uns 70 Kilometer gegen Süden an den Neusiedlersee transportieren. Die Gegend kennen wir bereits von mehreren ornithologischen Ausflügen und wollten sie daher auf keinen Fall links liegen lassen. Mehr dazu findest Du hier.

 

By the way: Am Neusiedlersee campierten wir inmitten der westlichsten Population der Ziesel. Supersüss und superflink. Da der Neusiedlersee geographisch gesehen das westliche Ende der zentralasiatischen Steppenlandschaft bildet, waren diese süssen Tierchen nette Vorboten auf Flora und Fauna, die uns im nächsten Frühjahr erwarten.

 

Gar nicht so einfach, die Kerlchen zu fotografieren... mehr zum Ziesel findest Du z.B. hier.

Vorbote der zentralasiatische Steppe:

Ausgetrocknete Lake beim Neusiedlersee

Vom Neusiedlersee gibt es einen Kanal (Einserkanal) an die Donau. Das ist dann auch gleich die Grenze zu Ungarn. -Sieht auf der Karte super aus, ist in der Praxis aber nur schwer fahrbar. Wir bekamen es zum ersten Mal mit Schlaglöchern, tiefem Schotter, Dornengebüsch von links und Brennnesseln-Peitschen von rechts zu tun. In den kurzen Trinkpausen kamen wir hautnah mit der faszinierenden Artenvielfalt und schieren Menge der heimischen Mückenfauna in Kontakt. Die erlösende Hauptstrasse stellte sich als Schleichweg für endlose Lastwagen-Kolonnen heraus, aber nach gut 4 Kilometern stiessen wir im ersten ungarischen Dorf auf die ultimative Erlösung: einen Coop!

 

Im Laden dann zwei Feststellungen: 240 kann unmöglich der Preis für ein kühles Fläschchen Eistee in Euro sein. Und, die Dame an der Kasse akzeptiert weder Deutsch noch Englisch noch sonst ein uns geläufiges Kommunikationsmittel, nimmt aber immerhin die Kreditkarte mit einem freundlichen Nicken entgegen.

 

Nichts desto trotz war Ungarn sowas wie Liebe auf den ersten Blick. Gutes und günstiges Essen brachte uns Kilometer um Kilometer voran, die Autofahrer überholten uns meist sehr rücksichtvoll, die etwas zurückhaltend freundlich-grimmige Art der Ungarn erinnert uns an zuhause und die Sprache ist ein Erlebnis! Selbst einfache Begriffe wie Danke -Kössörööm- sind eine Herausforderung und es fehlt an jeglichen Anhaltspunkten zu uns bekannten Sprachen. Wir getrauen uns bis zum Schluss nicht, die Städte- und Dorfnamen auf den Ortsschildern laut auszusprechen, einzig Budapest bildet da die bekannte Ausnahme von der Regel.

Budapest schliesslich ist eine Stadt zum Wieder-Hingehen! Schön, laut, und wahnsinnig lebendig, und dabei doch immer gemütlich. Wir fühlen uns gut aufgehoben, schlendern abends durch die Innenstadt, treffen auf unzählige Jugendliche die plaudernd und Gitarre spielend in grünen Parks sitzen...

 

Je weiter südlich wir in Ungarn kommen, desto mehr Leute sprechen uns auf Deutsch an. Viele Ortschaften, sind zweisprachig angeschrieben, eine Erinnerung an die bewegte Geschichte dieser Gegend. Der Weg selbst für uns über neue Strassen, Feld- und Wiesenwege, Pfade… irgendwann hört man auf, sich gegenseitig vor Schlaglöchern und Belagsaufwerfungen zu warnen, geniesst dafür die geschmeidigen Abschnitte umso mehr.

 

Bis zur serbischen Grenze haben wir, kein Scherz, keinen einzigen Zoll- oder sonstigen Grenzbeamten zu Gesicht bekommen. Das ändert sich wenige Kilometer vor dem Grenzübertritt, wo wir an 2-3 ungarischen Militärposten vorbeikommen. Wir grüssen freundlich und werden freundlich zurückgegrüsst. Am Zoll dann ein erster Check unserer Ausweise, Roli bekommt seinen ersten Stempel in den Pass und wir dürfen passieren. Was uns als erstes auffällt: Der Radweg ist extrem gut ausgeschildert; -damit kann man bei uns punkten! Als zweites fällt auf: Viele grüssen uns, lächeln uns an, winken, halten den Daumen hoch, hupen beim Überholen. Das haben wir bisher nur vereinzelt erlebt. Schon nach wenigen Kilometern auf serbischen Strassen hält ein kleiner Laster im Nirgendwo an und fragt uns mit Hand und Fuss, ob er uns mitnehmen solle? Wir lehnen gestikulierend ab, freuen uns aber über den Support. Der erste Campingplatz in Serbien erklären wir beim ersten Anblick zum schönsten unserer bisherigen Reise. Wir sind überwältigt vom satten Grün überall und verstehen erst ein paar Tage später, dass es in Serbien dieses Jahr aussergewöhnlich viel (gut für Landwirtschaft) geregnet hat. Sonst sei es trockener und brauner zu dieser Jahreszeit.

 

...

 

Unsere Angelegenheit auf der Schweizer Botschaft in Belgrad ist erledigt. Als wir im Hotel einchecken, ist bereits Post für uns eingetroffen: Die Iran-Visa sind angekommen 😊

 

Wie geht es nun weiter? Zwar ist es noch heiss und ein Blick auf das Wetter für die nächsten Tage lässt anhaltend heisses Hochsommerwetter erwarten. Trotzdem merken wir, dass es nicht für die ganze Donau reicht, wenn wir das Donaudelta nicht verpassen möchten. Auch müssen wir den Herbst und die bald kühleren Temperaturen im Hinterkopf behalten, die uns im Kaukasus und im nördlichen Iran erwarten. Also werden wir nach dem Besuch von Belgrad durch das Eiserne Tor radeln und nach 4 weiteren Tagen on the road mit einem rumänischen Zug in Richtung Schwarzes Meer rattern. Nach 1-2 Wochen an der westlichen Schwarzmeerküste wird uns dann, so alles klappt, ein Schiff über 650 Seemeilen weiter gegen Osten schippern…

 


Serbien -zum Zweiten

Fähre kapputt? Boxen draufstellen und den Campingplatz mit italienischen Canzoni beschallen. So geht das in Serbien. Wir finden das toll :)

Nach den beiden Grossstädten Novi Sad und Belgrad verschlug es uns nochmals ins ländliche Serbien. Hier erwartete uns mit dem Eisernen Tor die engste Stelle der Donau. Unterwegs hatten wir viele sehr herzliche Begegnungen; So wollten wir an drei aufeinanderfolgenden Abenden Spaghetti kochen, wurden aber jedesmal spontan von netten Menschen verköstigt. Hühnersuppe, Teigwaren mit Auberginensauce und die besten jemals von uns verspiesenen Zwetschgenknödel: herrlich! Am letzten dieser drei Abenden gabs zum feinen Znacht auch noch allerlei Hochprozentiges, als die Runde dann beim selbtgegorenen Weisswein ankam, wurde es für uns Zeit, gute Nacht zu sagen. Als wir nachts um halb drei kurz erwachten, konnten wir die fröhliche Runde in der Ferne immer noch ihre serbischen Lieder singen hören... Wir werden diese umkomplizierte serbische Gastfreundschaft nicht so schnell vergessen!

 

Die Strecke durch das Tal mit dem Eisernen Tor hat unter Tourenfahrern einen berürchtigten Ruf: Von viel Verkehr, giftigen Steigungen und 21 unbeleuchteten Tunnels ist die Rede. Während der Fahrt dachten wir einige Male an die kurvenreiche und wirklich steile Strasse nach Bergün zurück: Rückblickend das perfekte Abhärtungsprogramm! Die 21 Tunnel waren aus Schweizer Sicht eher entäuschend. Kaum ein Tunnel war länger als 200 Meter, sodass man bereits bei der Einfahrt das Licht am Ende des Tunnels erblicken konnte. Die beeindruckende Landschaft entschädigte uns mehr als genug für die Strapazen unterwegs.


Rumänien

Zugfahren in Rumänien

 

Um Zeit für’s Donaudelta zu gewinnen, planten wir, vom rumänischen Dobreta Turnu Severin per Zug nach Galati zu fahren. So würden wir die letzten 70 Kilometer vor dem Delta doch noch per Rad erleben können. Abklärungen im Netz zeigten aber rasch, dass die Rumänische Bahn und Fahrradreisende keine dicken Freunde sind. Offiziell ist die Radmitnahme nicht möglich, inoffiziell aber durchaus; Es hängt halt von der Laune des Schaffners ab. Also kauften wir am Abend vor der Reise für umgerechnet knapp 30 Franken pro Person die Tickets für die 600 Bahnkilometer. Was dann folgte, hätten wir nicht besser erfinden können.

 

Wenn man zum Bahnhof in Dobreta Turnu Severin kommt, steht man vor einem modernen Gebäude mit Glasfasade, Rollstuhlzugängen, grossen Fahrplananzeigetafeln, ein paar kleinen Shops… das Geld, so wurde uns erklärt, floss beim Bau vor 10 Jahren in Strömen. Eine Passerelle zu allen Gleisen war geplant, womit trockenen Fusses alle Züge auf allen Gleisen erreicht werden sollten. Gebaut wurde sie allerdings nie, und auch die Gleise wurden nie ausgebaut. Daher gibt es bis heute nur Gleis 1. Und dort stellten wir uns 20 Minuten vor der Abfahrt mit den Rädern und allem Gepäck hin.

 

Man fällt mit diesem Vorhaben wohl ziemlich auf, jedenfalls war sofort ein freundlicher Herr zur Stelle, der uns, zwischen Französisch und Englisch lallend, seine Hilfe anbot. Zuerst wollte er mit uns am Schalter Fahrradtickets kaufen gehen. Als er dort begriff, dass wir mit dem nächsten Zug und nicht mit dem Bummler, der Ewigkeiten gebraucht hätte, reisen möchten, meinte er, das sei nicht möglich! -Aussser… -man könne die Sache vielleicht mit dem Schaffner regeln, der sage einem, ob es gehe und wenn ja, wie hoch der Preis ist.

 

Je länger wir warteten, umso nervöser wurden wir. Uns fehlten jegliche Erfahrungswerte im Umgang mit Beamtenwillkür und Bestechungskultur. Würde uns der Schaffner überhaupt in den Zug lassen? Würde er uns an der nächsten Station wieder rausschmeissen? Dass 20 Minuten nach geplanter Abfahrt noch immer kein Zug da war, machte die Sache nicht besser, aber ausser uns schien das niemanden zu irritieren, nervös zu machen oder gar zu ärgern. Alles im grünen Bereich.

 

Als der Zug schliesslich einfuhr war bereits klar, dass wir den Anschluss in Bukarest hundertprozentig verpassen würden. C’est la vie! Der nette Herr wechselte ein paar Worte mit dem Schaffner, winkte uns zu und meinte, wir sollten einsteigen. Gesagt, getan. Wir hievten alles in den Zug, fixierten die Räder so gut und platzsparend es eben ging im engen Gang und verteilten unser Gepäck so, dass die anderen Passagiere problemlos vorbeigehen konnten. Nun hiess es abwarten.

 

Schon nach wenigen Minuten kam ein stattlicher Schaffner vorbei, redete auf uns ein, zeigte auf die Räder und schüttelte den Kopf. Selena setzte ihr freundlichstes Lächeln auf, zeigte unsere Tickets, fragte nach Tickets für die Räder und siehe da; aus dem Kopfschütteln wurde ein hin- und herwiegen des Kopfes. Schliesslich nahm der Schaffner einen Zettel, schrieb etwas drauf, zog seinen Hut aus und legte das kleine Zettelchen hinein. 150 Leu stand drauf. Das sind etwa 40 Franken. Ein hoher Preis, wenn bedenkt, dass die Fahrkarten für uns selber nur ein Drittel teurer waren. Das war uns in dem Moment aber herzlich egal, also leerten wir unsere Hosentaschen und gaben dem Mann das Geld. Das wars nun also, wir hatten soeben zum ersten Mal jemanden bestochen. Ein seltsames Gefühl… -einerseits ist man froh, dass man sein «Ziel» erreicht hat, fühlt sich aber auch ausgenutzt und spürt, dass das alles eigentlich grundfalsch ist. Die Geschichte hätte hier zu Ende sein können. Doch in dem Moment kam ein zweiter Schaffner vorbei, noch stattlicher als der erste, und dieser nun hatte eine rote Mütze auf. Sofort war klar, hier kommt der Chef! Und sofort ging das Spiel von vorne los: Auf die Räder zeigen, Kopfschütteln, auf uns einreden. Schaffner Nr.1 erklärte Schaffner Nr.2 etwas, worauf dieser zuerst den Kopf schüttelte, dann Schaffner Nr.1 zusammenstauchte und ihm schliesslich die 150 Leu abknöpfte. Wir wiederum nutzen die absurde Situation sofort zu unseren Gunsten aus und fragten immer und immer wieder nach «Ticket! Ticket!» für unsere Räder. Uns so bekamen wir nach einigem Hin- und Her tatsächlich ein «Ticket» für die Räder, handgeschrieben, 7 mal 15 mal 2 gleich 150, wir wissen bis heute nicht, was das für eine Berechnung ist.

 

Wie auch immer, die anderen Passagiere im Zug waren superfreundlich zu uns. Die Fahrt dauerte über 5 Stunden, und uns, die am Boden sitzen mussten, wurden immer wieder Sitzplätze angeboten, während die Platzbesitzer sich die Beine vertreten haben. Durchsagen wurden für uns übersetzt und wir kamen mit einigen Leuten ins Gespräch. Unseren Anschluss in Bukarest haben wir natürlich trotzdem verpasst, aber 4 Stunden später gabs noch einen Zug nach Galati, und dort kamen wir dann abends spät an. Erwähnt werden muss noch, dass sich der Schaffner im zweiten Zug überhaupt nicht für unserer Räder interessierte und weder ein Ticket noch Geld von uns wollte. However: Von allen Tagen unserer bisherigen Reise war das sicherlich der bisher nervenaufreibendste.

 

Zum letzten Mal überqueren wir bei Galati die Donau mit der Fähre.                                         

Radfahren in Rumänien

 

Um es gleich vorweg zu nehmen: Rumänische Strassen sind besser als ihr Ruf. Zwar, tatsächlich hatten wir schon am zweiten Abend eine unangenehme Begegnung mit Strassenhunden, und am letzten Stück der Donau entlang sorgte ein kälbergrosser Wachhund für neue Temporekorde auf den Rädern. Und es gibt Stellen, wo reihenweise Dolendeckel fehlen, -da muss man dann als Radfahrer schon sehr gut aufpassen. Aber im Allgemeinen sind die Strassen gut ausgebaut und die Auto- und LKW-Fahrer nicht rücksichtsloser als anderswo. Man spürt, dass Verkehrsregeln nicht mehr denselben hohen Stellenwert haben wie zu Hause, das hat aber auch was Entspanntes.

 

Ein Klischee, das tatsächlich wahr ist, sind Kleinbauern mit Pferdefuhrwerken. Einmal haben wir in einer Abfahrt unter lauten Jubelrufen der Lenkerin ein solches Gespann überholt. Die Jubelrufe hörten und hörten einfach nicht auf, und ein Blick in den Rückspiegel zeigte, dass die Rufe nicht uns gegolten hatten, sondern dass die Frau ihr armes Tier antrieb und uns hinterherjagte. In der nächsten Steigung wurden wir dann, jetzt unter wirklichen Jubelrufen, eingeholt und abgehängt. Als es wiederum nach unten ging, waren natürlich wir wieder schneller… Kurz darauf stoppten wir wegen ein paar Rotfussfalken, das Fuhrwerk hielt neben uns an und die Fahrerin bot uns mit lobenden Worten eine Flasche an. Das Schlimmste vermutend (selbstgebrannten Schnaps?) lehnten wir dankend ab.

 

 

 

 

Auf dem Zeltplatz in Tulcea, der Stadt am Donaudelta (Bericht findest Du hier), fand unter den anwesenden Radreisenden ein angeregter Austausch zum Thema «Umgang mit Hunden» statt. Seither führen wir auf unseren Rädern immer griffbereit einen Stock mit. Im Fall der Fälle reicht es aus, die Hand an den Stock zu halten; die Hunde erkennen das Signal sofort und lassen dann ab; blöde sind sie ja nicht. Hat man grade keinen Stock, reicht es aus, so zu tun, als ob man einen Stein aufheben würde. Auch hier checkt der Hund sofort, was droht, und lässt im Idealfall ab. Ein wenig theatralisches Talent ist on the road also durchaus von Vorteil… Wir hoffen, mit diesen Bluffs durchzukommen.

 

 

 

 

 

Die Rumänen selbst sind sehr hilfsbereit. Als wir uns einmal verfahren hatten und -um viele Kilometer zu sparen- eine «Abkürzung» durch die Pampa nehmen wollten, hielten neben uns besorgte Autofahrer an und fragten nach unserem Ziel. Da der Weg tatsächlich in die richtige Richtung führte, hielt uns dann aber niemand von unserem Vorhaben ab. Nach dieser Fahrt wussten wir: Rumänische Nebenstrassen sind wirklich Nebenstrassen; zwar auf der Karte eingezeichnet und sogar mit Nummer versehen, was aber nicht heissen muss, dass der Strassenverlauf querfeldein eindeutig festgelegt ist. Navi sei Dank haben wir dieses Abenteuer gut überstanden.

 

 

In Constanta schliesslich war das offizielle Ende des Donauradwegs erreicht. In Rumänien gibt es zwar keinerlei Ausschilderung der Route mehr, aber wir hatten doch die leise Hoffnung, wenigstens am Ende des Donauradwegs eine entsprechende Tafel zu finden. Leider Fehlanzeige, aber ein Bild vor der Ovid-Statue kann man ja trotzdem machen. In einem nahgelegenen Restaurant gönnten wir uns zur Feier des Tages ein zweites Frühstück und Virgin-Cocktails mit Schirmchen drauf.

 

Seit Constanta sind wir also in der Wahl unserer Route auf uns allein gestellt. Die Richtung war klar, immer gen Süden, immer plus minus der Küste nach. Je nach Tagesform folgten wir eher der Schwarzmeerautobahn oder eher Nebenstrassen. Kurz vor der bulgarischen Grenze machten wir in 2.Mai (der Ort heisst wirklich so) eine längere Pause. Wir hatten erfahren, dass unser Plan, im bulgarischen Varna eine Fähre zu besteigen, so nicht funktionierte. Laut Mail der Reederei hätten wir noch gut 25 Tage warten müssen, und dabei wäre es nicht mal sicher gewesen, ob das Schiff tatsächlich ablegt und wenn ja, ob es Passagiere mitnimmt. Keine gute Option also, wenn man anfangs September in Georgien ankommen wollte. Das Timing für diese Hiobsbotschaft hätte aber nicht besser sein können. Der Campingplatz in 2.Mai war paradiesisch schön. Morgens zum Aufwachen und nachmittags zum Abkühlen konnte man am nahgelegenen Strand ins Schwarze Meer hüpfen, und der Kaffee an der Strandbar schmeckte richtig gut. Wären da nicht die fiesen, kleinen wolligen Raupen gewesen, die wir jeden Morgen zu Dutzenden vom Zelt schaben und aus den Taschen grübeln mussten, wir wären vielleicht noch heute dort.

 

Nach einigen Recherchen im Netz fanden wir dann eine Fähre vom bulgarischen Burgas (das liegt noch etwas südlicher als Varna) nach Georgien, die etwa einmal die Woche ablegt. Da wir die nächste Abfahrt in 2 Tagen unmöglich schaffen konnten, hatten wir gut Zeit, die bulgarische Schwarzmeerküste richtig zu geniessen. Wir planten die Etappen so, dass wir drei Tage vor Abfahrt in Burgas sein sollten und in Ruhe die Überfahrt vorbereiten konnten.

 


Bulgarien

Ein Schiff wird kommen

 

Ein Mail an die Schifffahrtsgesellschaft in Burgas ergab, dass die Fähre am 6. September tatsächlich fährt, es aber noch nicht sicher sei, ob auch Passagiere ohne LKW mit an Bord können. Wir würden Dienstag-Mittwoch, also drei Tage vor Abfahrt, Bescheid bekommen. Die Alternativen sahen wenig verlockend aus: Nach Istanbul radeln und mit dem Flieger nach Georgien jetten, oder gleich einen Bus quer durch die Türkei und nach im Minimum 48 Stunden an der georgischen Grenze ankommen.

 

Wir waren daher überglücklich, als am Dienstagmorgen die Mail kam: «Hi, pls confirm your readiness to travel on 06.09. We will be able to accomodate you with another couple in a 4 bed cabine.»

 

Bulgarien verzauberte mit schönen Stränden, hat uns aber

fahrtechnisch und konditionell so einiges abverlangt.

Für die drei Tage in der Hafenstadt Burgas hatten wir eine kleine Wohnung gebucht. Ideal, um alleTaschen durchzumisten und zu reinigen, einige Einkäufe zu erledigen und den ersten Brechdurchfall (Roli plus Muscheln = nix gut) zu überstehen. Dank dem netten Vermieter konnten wir am Freitag bis 15:00 Uhr in der Wohnung bleiben, zwischen 16:00 und 19:00 sollten wir beim Schiff sein und einchecken.

 

Das Schiff fanden wir rasch, kann man ja auch kaum übersehen. Dort angekommen wurden wir aber gleich wieder weggeschickt. Man deutete auf ein Haus und sagte etwas von einem Bordingpass. Im Gebäude selbst konnte man vor lauter Qualm kaum was sehen. Beamte sassen mit Truckern an kleinen Tischchen, rauchten und stempelten stapelweise Papiere durch. Niemand beachtete uns. Durch ein leises in den Qualm gehauchtes «Bordingpass? Ferry?» wurde schliesslich doch jemand auf uns aufmerksam, führte uns kopfschüttelnd raus und erklärte uns den Weg zu einem «new house», wo man uns weiterhelfen könne. Hier nämlich seien wir «compliiitli wrong».

 

Dort angekommen fanden wir tatsächlich ein Schild der Fährengesellschaft und ein Büro. Der nette Herr hinterm Schreibtisch konnte zwar unsere Namen nicht auf seiner Passagierliste finden, verkaufte uns aber nach einigem Papierkram trotzdem zwei Bordingpässe. Er erklärte, dass wir, einmal auf dem Schiff, dieses bis Georgien nicht mehr verlassen könnten. Es gäbe drei Mahlzeiten am Tag, die erste davon jetzt dann zwischen 18 und 19 Uhr. Auf die Frage, ob man ab Bord Getränke kaufen könne, meinte er: «Yeah, there is a little bar with beer an other alcohol.» Wir sorgten uns zwar eher um Wasser, aber verdursten würden wir also schon mal nicht.

Nach einem letzten Kaffee an Land fuhren wir also ein zweites Mal zum Schiff. Diesmal wurden unsere Pässe kontrolliert und wir mussten, das erste Mal auf unserer bisherigen Reise, alle Taschen öffnen. Nachdem alle Taschen einmal nett von den Zollbeamten berührt worden waren, durften wir aber auch schon weiter zum Schiff. Scheinbar hatten wir Glück, andere Traveller nach uns mussten alles komplett ausräumen… Auf dem Schiff mussten wir unsere Pässe abgeben und erhielten die wichtigste Regel zu hören: das obere Deck ist für uns verboten, das Deck unten ist für uns verboten. Unsere Kabine, der Speiseraum und geschätzte 150 Quadratmeter ungedeckte Fläche an der frischen Luft, das war unser Territorium für die nächsten knapp 65 Stunden.

 

Die Kabinen auf dem Schiff sind wirklich komfortabel. Wir hatten ja keine Ahnung, was uns erwarten würde. Eigene Toilette mit Duschbrause?, -so lassen sich 3 Nächte und 2 Tage auf Hoher See aushalten! Das Essen war ebenfalls besser als erwartet, und es ergaben sich rasch spannende und nette Bekanntschaften mit den anderen Packpackern und Radreisenden. 9 Deutsche, 2 Holländer und wir 2 Schweizer.

 

Abends um 11 lag das Schiff noch immer in Burgas vor Anker. Etwas endtäuscht gingen wir zu Bett; gerne hätten wir den Abschied von Europa noch etwas zelebriert und miterlebt. Nachts um 1 konnten wir von Brummen des Schiffsmotors geweckt durch das Kabinenfenster grade noch die letzten Lichter in der Ferne entschwinden sehen. Bye bye, good old europe…

 

Die beiden Tage auf See waren sehr entspannend: Essen, sonnen, dösen, quatschen, Vögel beobachten und den Delphinen beim Schwimmen und Springen zuschauen. Ab und zu einen Blick auf die türkische Küste im Süden erhaschen. Am zweiten Tag machte das Gerücht die Runde, die Fähre würde nun statt um 10 vormittags erst irgendwann am Montagnachmittag ankommen, da zuerst ein anderes Schiff in Batumi ablegen müsse. Auch ok, niemand regte sich deswegen auf. Zufrieden und leicht angetrunken legten wir uns abends in unsere Kojen und freuten uns auf eine weiter ruhige Nacht auf See. Es schläft sich nämlich wirklich gut bei leichtem Wellengang…

 

Um halb 2 in der Nacht klopfte es energisch an der Kabinentür und Georgie, der Mann von der Bar, sagte, wir sollten unsere Pässe holen. Unser deutscher Zimmergenosse deutete auf das Kabinenfenster und meinte ungläubig: «Da draussen ist ne Stadt!» Tatsächlich leuchteten da draussen ein Riesenrad, ein Hochhaus und ein sehr seltsamer Turm in der Dunkelheit um die Wette. An der Bar erhielten wir unsere Pässe, aber um die Frage aller Fragen zu klären preschte einer der deutschen Traveller vor und fragte die Dame mit den Pässen: «Do we have to leave the ship?». Die Frau darauf: «To 100% you have to leave the ship!». Der Traveller ungläubig: «Now?» - «Not now, but in 30 to 45 minutes.». Ok, da hiess es also packen, Räder beladen, Passkontrolle noch auf dem Schiff, und dann: Wellcome to Georgia, it’s 4’o’clock in the morning! Die ganze Szenerie war, übernächtigt wie wir waren, sehr surreal. Aber kann es denn eine passendere Art geben, einen neuen Kontinent zu betreten?

 

Batumi by, unfreiwillig!, night.